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Diego Francesco Carlone
Bildhauer, Stuckateur |
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geb. 1674 |
Scaria, Val d'Intelvi (I) (Vater: Giovanni Battista; Mutter: Taddea Allio; Bruder: Carlo Innocenzo) °° 1704 Francesca Allio (Vater: Martino) |
gest. 21.6.1750 | Scaria (I) |
Diego Carlone war Bildhauer und Stuckateur in Österreich, Süddeutschland, der Schweiz und Oberitalien. Als Material für seine meist überlebensgroßen Figuren verwendete er nicht Marmor, sondern den leichter zu modellierenden Stuck, der um 1600, insbesondere aber nach dem Ende des 30-jährigen Krieges (1618-1648), in Kirchen und Schlössern in ganz Europa seinen Siegeszug antrat.
Besonders die Art, wie Carlone biblische Persönlichkeiten darstellte, traf offenbar den Geschmack kirchlicher und adeliger Auftraggeber. Seine Figuren scheinen in sich zu ruhen, mit ihrer verhaltenen Gestik und dem eleganten Faltenwurf wirken sie gelassen und selbstbewusst. Ihre Gesichtszüge drücken je nach Charakter Autorität (Apostel, Könige) oder Mitgefühl (Hl. Anna, Hl. Josef) aus. So wurde Carlone von einer Baustelle zur nächsten gereicht und verbrachte sein Leben als Wanderkünstler mit wechselnden Wohnsitzen, bis er im Alter von über 60 Jahren in seine Heimat zurückkehrte.
Aus der Fülle der Werke, die Diego Carlone im Laufe seiner 40-jährigen Karriere schuf, können hier nur einige typische Beispiele herausgegriffen werden. Sie sind chronologisch angeordnet, beginnend im heutigen Österreich, von dort nach Süddeutschland, in die Schweiz und schliesslich zurück an seinen Geburtsort Scaria in Oberitalien, nahe der Grenze zum Tessin.
Da kein Portrait von ihm überliefert ist, sehen Sie oben seinen ersten bedeutenden Auftraggeber, Fürsterzbischof Johann Ernst von Thun und Hohenstein (reg. 1687-1709), der Salzburg zu einer prächtigen barocken Stadt ausbaute.
Ausbildung und erste selbständige Arbeiten
Nach dem Schulunterricht beim Dorfpfarrer in Scaria trat Diego mit 12 Jahren eine Lehre bei seinem Vater an, der in Passau im Dom St. Stephan für die Stuckdekoration verantwortlich war.
Hier können Sie einen Blick auf die komplexe Verschmelzung von Architektur, Malerei und Verzierung werfen.
Dabei faszinierten den jungen Diego vor allem die Figuren, sodass er begann, sich darauf zu spezialisieren.
Nach Abschluss der Lehrzeit hatte er Gelegenheit, 1694 zu einem Studienaufenthalt nach Rom zu fahren, wo er die Werke so berühmter Bildhauer wie Gianlorenzo Bernini (1598-1680), Ercole Ferrata (1610-1686) und Antonio Raggi (1624-1686) kennenlernte.
Als Diegos erste selbständige Arbeit gelten die Statuen in der Wallfahrtskirche Maria Hilf in Amberg (D), wo sein Vater Giovanni Battista den Hauptaltar und die Stuckdekorationen ausführte. Die Figuren überließ er seinem Sohn, und weitere Stuckverzierungen seinem Neffen Paolo Allio (1665-1729), mit dem Diego während den folgenden 20 Jahren eine gemeinsame Werkstatt führte. Von Allio stammen jeweils die nicht figürlichen Stuckverzierungen, während für das Gesamtkonzept der Innenraumgestaltung der Bauherr bzw. der Architekt zuständig war.
Hier sehen Sie sechs der großen Figuren von Diegos Hand. Vor dem Altar links König David, rechts König Salomon, die er 1709 im Stift Lambach in vergoldeter Fassung erneut darstellte.
Diego Carlone, Statuen in der Wallfahrtskirche Mariahilf in Amberg (D), 1702-1704
Salzburg 1704 - 1709
Einer der großen Architekten, die Carlone Aufträge erteilten, war der vom Fürsterzbischof nach Salzburg verpflichtete Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656-1723).
Vielleicht rührte die Ähnlichkeit ihres Geschmacks von Rom her, wo Fischer von Erlach 16 Jahre verbracht und den bereits erwähnten Bildhauer und Architekten Gianlorenzo Bernini kennengelernt
hatte. Jedenfalls vertraute er die Figuren und die Stuckdekoration von drei Kirchen (Kollegien-, Markus- und Johannsspitalkirche) und einem Schloss (Kleßheim) in Salzburg dem Team Carlone - Allio an.
Unter den Statuen dominieren die Heiligen, die Carlone meist in Lebensgröße ausführte. Um ihnen Standfestigkeit zu verleihen, wird zuerst ein Gerüst aus Holz und Metall angefertigt, gefolgt von einem ersten groben Entwurf aus einer Mischung von Kalk und Sand, manchmal auch Gips. Für die detaillierte Ausführung wird zum Kalk Marmorpulver beigefügt. Dazu kommen Wasser, Leim, Leinöl usw. Jede Werkstatt (it. bottega) hatte ihr eigenes, streng gehütetes Rezept! Diese Mischung erlaubt ein rasches Modellieren und trocknet relativ schnell. So können auch feine Details, wie hier das Gewand der Heiligen Agatha, mit entsprechenden Spachteln und Modellierhölzern ziseliert werden.
Diego Carlone,
Hl. Agatha,
Markuskirche Salzburg,
1704
Besonders geschätzt wurde Diego für die ausdruckvollen Gesichter, wie der Hl. Josef, der seinem Sohn Jesus liebevoll zulächelt. Er steht in der Kirche des heutigen Landeskrankenhauses, das der Fürsterzbischof aus eigenen Mitteln finanzierte und von Fischer von Erlach entwerfen ließ.
Diego Carlone,
Hl. Josef mit
dem Jesuskind,
Johannsspitalkirche Salzburg
Oder die Hl. Anna, die ihre schützende Hand über ihre Tochter Maria hält und sie fürsorglich an sich zieht.
Diego Carlone,
Hl. Anna mit
ihrer Tochter Maria,
Johannsspitalkirche Salzburg
Die Universitäts- oder Kollegienkirche ist ganz in Weiß gehalten. Auf einer Säule vor dem Hauptaltar schweben diese eleganten Engel.
Diego Carlone, Engel in der Kollegienkirche Salzburg, 1707
Seltene Ausnahmen in Diegos Schaffen sind Figuren an einer Fassade, hier an der Sommerresidenz des Fürsterzbischofs, Schloß Kleßheim in Salzburg, das heute als Casino dient. Dargestellt sind links die Personifikation der Prachtentfaltung (Magnificenza), wozu vor allem Architektur und Kunst gehören, und rechts die Allegorie der Klugheit (Prudentia) mit ihren Attributen, dem Spiegel und der Schlange.
Diego Carlone, Allegorien der Magnificenza und der Prudentia an der Fassade von Schloss Kleßheim, Salzburg, 1708
Das leere Schild und das fehlende Attribut in der linken Hand erklärt sich aus einer Darstellung im Stift Kremsmünster, die Carlone 1719 schuf:
Diego Carlone, Allegorie der Prachtentfaltung (Magnificenza), Kaisersaal im Stift Kremsmünster (A), 1719
Magnificenza zeigt auf dem Schild den Grundriß eines Bauwerks und hält in der rechten Hand eine Statue der Göttin der Kunst und des Handwerks, Athene.
Stift Lambach 1709
Nach dem Tod des Füsterzbischofs von Thun im Jahre 1709 und dem Wegzug des Architekten Fischer von Erlach nach Wien bemühten sich andere Bischöfe darum, Diego in ihre Dienste zu nehmen.
Erste Station war das etwa 80 km von Salzburg entfernte Benediktinerkloster Lambach, wo gerade Diegos Onkel, der Architekt Carlo Antonio Carlone, einen neuen Trakt baute. Einen der festlichen Säle,
das sogenannte Ambulatorium, schmückte Diego mit den Statuen der Könige David und dessen Sohn Salomon (AT 1.
Buch der Könige) sowie Szenen aus dem Alten Testament in Form von Reliefs.
Diego Carlone,
König David im Ambulatorium
des Stifts Lambach (A), 1709
Allein schon ihre Überlebensgröße, aber auch ihre selbstbewußte Haltung und die Vergoldung verleihen den Statuen eine majestätische Autorität.
Diego Carlone,
König Salomon im Ambulatorium
des Stifts Lambach (A), 1709
Von den sechs ebenfalls vergoldeten Reliefs sehen Sie hier den Kampf Samsons mit dem Löwen (AT Buch der Richter) und die Heimkehr der Kundschafter aus dem Land Kanaan (AT 1. Buch Mose).
Diego Carlone, Samsons Kampf mit dem Löwen, Stift Lambach (A), 1709
Diego Carlone, Kundschafter, die mit Trauben aus dem verheissenen Land Kanaan zurückkehren, Stift Lambach (A), 1709
Und noch etwas finden wir im Stift Lambach: die Signatur des Künstlers auf einer der 50 Wandplatten aus vergoldetem Stuck im Sommerrefektorium: Diego F(rances)co Carlone f(ecit).
Signatur Diego Carlones unter der Allegorie Silentium im Stift Lambach, 1709
Stift Kremsmünster 1719-1720
Wie in Lambach, war auch im Benediktinerkloster Kremsmünster Diegos Onkel Carlo Antonio Carlone als Architekt tätig, zusammen mit Künstlern aus dem Val d'Intelvi (Giovanni Battista Barberini,
Giovanni Pietro Spazzi) und dem Tessin (Giovanni Battista Colomba). Diego schuf im Kaisersaal 12 Reliefs römischer Kaiser, 24 Darstellungen der Tugenden (darunter die weiter oben gezeigte Allegorie der Magnificenza)
und die Stuckrahmen um 15 Portraits von Herrschern aus dem Hause Habsburg.
Hier sehen sie den ersten Habsburger Kaiser Rudolf I., gemalt von Martino Altomonte, flankiert von Diegos Personifikationen der kirchlichen und weltlichen Macht mit ihren Attributen: die Schlüssel zum Himmelreich, die Papsttiara, die Bibel und der Messkelch, bzw. Kaiserkrone und Zepter.
Diego Carlone,
Allegorien der kirchlichen
und weltlichen Macht,
Kaisersaal im Stift
Kremsmünster (A),
1719-1720
Diego Carlone,
Allegorie der kirchlichen Macht,
Kaisersaal im Stift
Kremsmünster (A), 1719-1720
Diego Carlone,
Allegorie der weltlichen Macht,
Kaisersaal im Stift
Kremsmünster (A), 1719-1720
Kloster Weingarten, Baden-Württemberg, 1719-1723
Ab 1715 arbeitete Carlone in Süddeutschland, zuerst in der riesigen Schlossanlage von Ludwigsburg, wo sein Bruder Carlo Innocenzo und seine Verwandten Donato Giuseppe Frisoni und Leopoldo Retti
mit einem ganzen Trupp von Künstlern aus dem Val d'Intelvi tätig waren. Frisoni war es auch, der Diego 1719 an die soeben fertiggestellte Kirche des Klosters Weingarten verpflichtete. Dort hatte er die Möglichkeit,
ganze Altäre nach seinen eigenen Vorstellungen zu entwerfen. Zum Beispiel den Hochaltar mit sechs Heiligenstatuen und Engeln als Vermittler zwischen Himmel und Erde.
Ebenfalls von Diego stammt der Kreuzigungsaltar am Eingang zur Welfengruft, flankiert vom Hl. Petrus mit den Schlüsseln und dem Hl. Paulus mit dem Schwert.
Diego Carlone, Kreuzigungsaltar in der Basilika Weingarten mit Statuen der Hl. Petrus und Paulus, 1719-1723
Kloster Einsiedeln, Schweiz 1738-1745
Weitere acht Altäre und zwei Grabdenkmäler (Epithaph der Äbte und Epitaph der Mönche), jeweils mit zahlreichen Figuren, gestaltete Diego in der Kirche des Klosters Einsiedeln, die 1735 geweiht wurde.
Es waren seine letzten Arbeiten, die er im Laufe mehrerer Jahre ausführte, als er seinen Wohnsitz wieder in seinen Heimatort Scaria verlegt hatte.
Die Fassade ist übrigens von der Kollegienkirche in Salzburg und der Klosterkirche Weingarten inspiriert, die beide auf Entwürfe von Johann Bernhard Fischer von Erlach zurückgehen.
Am Mauritius-Altar steht der Erzengel Michael, der - als römischer Krieger gekleidet - den Sieg über Satan erringt.
Diego Carlone,
Erzengel Michael
bezwingt den Satan,
Mauritius-Altar
in der Klosterkirche
Einsiedeln (CH)
Die Hl. Ursula hingegen wird als Königstochter in reich geschmücktem Gewand dargestellt. Die Pfeile erinnern an ihren Märtyrertod im 4. Jahrhundert in Köln.
Diego Carlone,
Hl. Ursula
am Sigismund-Altar
in der Klosterkirche
Einsiedeln (CH)
In der Kirche arbeitete in diesen Jahren auch der junge Joseph Anton Feuchtmayer (1696-1770), der bereits in Weingarten als Geselle assistiert hatte. Von Carlone lernte er inbesondere die Technik des stucco lucido (Glanzstuck), dank der die Oberfläche einen alabasterähnlichen Glanz erhielt.
Wir danken Pater Lorenz Moser für die Erlaubnis, in der Klosterkirche Einsiedeln zu fotografieren.
Werke im Ruhestand
Nach über 40-jähriger Tätigkeit in deutschsprachigen Ländern mit wechselnden Wohnsitzen und Arbeitsplätzen zog es Diego 1738 wieder in sein Heimatdorf zurück, wo auch seine Familie lebte
(er hatte einen Sohn und drei Töchter). Hier war er nun frei von vorgegebenen Themen und konnte nach Lust und Laune das tun, was ihm am meisten Freude machte: Figuren modellieren.
An der Fassade der Pfarrkirche Sta. Maria in Scaria stehen zwei wenig bekannte, lokal verehrte Märtyrer aus dem 1. Jahrhundert, der Hl. Nazarius und der Hl. Celsus, deren Leichname der Legende nach im Jahre 395 vom Mailänder Bischof Ambrosius gefunden wurden. In Oberitalien wurden ihnen zahlreiche Kirchen errichtet.
Diego Carlone,
Fassade der Pfarrkirche
Sta. Maria in Scaria (I), 1741
Diego Carlone,
Hl. Nazarius an der Fassade
der Pfarrkirche von Scaria,
Val d'Intelvi (I), 1741
Beide halten die Palme der Märtyrer in Händen.
Diego Carlone,
Hl. Celsus an der Fassade
der Pfarrkirche von Scaria,
Val d'Intelvi (I), 1741
Auch im Innern der Kirche liess Diego seiner Phantasie freien Lauf, wie hier bei der Umrandung der Fresken seines Bruders Carlo Innocenzo Carlone (siehe dessen Biographie auf dieser Webseite).
Diego Carlone, Stuckaturen in der Pfarrkirche von Scaria (I)
Fresko über dem Hauptaltar von Carlo Innocenzo Carlone
Vielleicht ist Diego sogar auf dem Bild dargestellt, als Familienvater mit seinen drei Töchtern und Enkelkind. Seine Frau Francesca war bereits 1726 verstorben.
Diego Carlone starb am 21. Juni 1750 im Alter von 76 Jahren in Scaria.
Literatur
- Spiriti A., Diego Francesco Carloni da Scaria e la nascita del rococò, Ed. U. Allemandi, Turin 2014
247 Seiten, mit ausführlicher Literatur und 3700 Fotos auf DVD (in der Kantonsbibliothek Lugano).
Links
- Diego Carlone (mit Werk- und Literaturverzeichnis)
- Diego Carlone (AIA, Italienische Künstler in Österreich)
- Stammbaum der Künstlerfamilie Carloni (im deutschsprachigen Raum Carlone genannt)
Links zu Werken von Diego Carlone:
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